Die 3 ist eine magische und heilige Zahl. In der Musik bilden Dreiklänge die Grundlage der abendländischen Harmonik und bezeichnet ein Trio die kleinste Form des Ensembles. Nun besteht zwar Radiolux aus drei Mitgliedern, ist aber keineswegs klassisch tradierten Normen verpflichtet; genauso wenig kann die Formation als Band im herkömmlichen Sinne verstanden werden. Viel besser eignet sich das Konzept der ›Figuren des Dritten‹ – die in der Kulturtheorie als Grenzgänger bekannt sind: als Trickster, die binäre Ordnungen triadisch unterlaufen…
›Unerhörte‹ Töne mit einem starken Hang zum Geräuschhaften entlockt Fabian Niermann seinen Instrumenten – Saxofon und präparierte Klarinette: Fragmentierte Einzeltöne reihen sich mal fluide wabernd, mal scharf gestochen aneinander, abgelöst von frei florierenden Läufen, die von extravaganten Trillern unterbrochen werden. Ganz ohrenscheinlich ist Niermann geschult in den experimentellen Spielweisen der Neuen Musik und inspiriert von den frei fliegenden Kapriolen des Free Jazz. So ›unerhört‹ das manchmal ist, so erdet er doch mit seinem analogen Spiel die atmosphärisch verschatteten Soundtracks abstrakter Welten, die Radiolux im Medienverbund aus Sound und Vision kreiert…
Listening Session I –
FABIAN NIERMANN [Saxofon, präparierte Klarinette]
Radiolux ist nicht zu verwechseln mit Radio Luxemburg; der Name des Trios verdankt sich vielmehr einem Flohmarktfund: das gleichnamige Gerät diente in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als häusliches Allheilmittel, das Körper mithilfe hochfrequenter elektrischer Funken bestrahlte. Und Funken sprühen auch die Performances, die Radiolux multimedial und -sensorisch gestaltet. Insofern ist das Kompositum aus Radio/Klang und Lux/Licht nicht zuletzt in dem Sinne sinnstiftend, wie es der Namenszusatz anzeigt und spezifiziert: »audio visual improvisation«.
Marek Brandt ist kein Blender, der die elektronischen Mittel für grobe Effekte einsetzt. Dezent und taktvoll (wenn auch niemals in allzuoffensichtlichen Rhythmen) verwebt er sonische Artefakte unterschiedlicher Provenienz zu feinmaschigen, von funkelnden Klangpartikeln pulsierenden Klangteppichen: Synthetische Gebilde aus Sinustönen werden von konkreten Klangereignissen flankiert: Field-Recordings, die er der Umwelt und ihren Kulturen ablauscht und mittels Granularsynthese verfremdet. Technik und Natur schreiben sich als nonhumane Agenten in diese Soundscapes ein, die menschgemacht sind und doch von einer anderen Welt zu künden scheinen…
Listening Session II –
MAREK BRANDT [(Live) Elektronik, FX, field recordings]
Improvisiation bildet das zentrale Mittel der radioluxschen Kreationen, die von der Interaktion der Performer:innen leben: als Einstellung zum Miteinander und Haltung auf das Überraschende hin. In der wechselseitigen Stimulation von Klängen, Bildern und Dingen, entstehen im unmittelbaren Vollzug des Zusammenspiels dichte und doch luftige Audio-Visionen, die alle Sinne ansprechen und einfordern.
Inka Perl liefert die visuelle Ebene der Performances. Ohne die Musik zu bebildern oder ihr Vorlagen zu liefern, werden hier farben- und formenreiche Visionen sichtbar, indem in Echtzeit Objekte – Haushaltsgeräte, Alltagsgegenstände, Zufallsfunde – zu surrealen Ensembles montiert, collagiert und animiert werden. Unter dem Licht des Projektors und im Auge der Videokamera bilden die Dinge abstrakte Stillleben, wie unter einem Mikroskop, die wie von Geisterhand belebt werden. Formen und Farben beginnen zwischen diskreten und konkreten Informationen zu morphen und bilden spektrale Szenerien fast organisch anmutender Visionen.
Listening Session III –
INKA PERL [Echtzeitanimation]
Ganz offensichtlich und ohrenscheinlich pflegen die drei Mitglieder von Radiolux eine Affinität zur magischen Zahl 3 – das zeigt sich ganz besonders in der improvisierten Interaktion von drei Medien der Klang/Kunst-Erzeugung: Sound, Licht und Objekte. Im Ergebnis bewegt sich Radiolux irgendwo zwischen Avantgarde, Klangkunst und Musikinstallation – die sich hybrid fließend verbinden und dabei stilistische Grenzen ignorieren. So richtig erfahrbar wird diese »audio visual improvisation« erst im assoziativen Erleben der konkreten Audio-Visionen:
Organisch fließende Gewebe aus analogen und digitalen Klangquellen umarmen sich, indem sich die beiden Musiker in klangpraktischem Handeln üben, während die Videoartistin das Auditive um ihre Visionen bereichert. Im improvisierten und multimodalen Zusammenspiel der drei Performer:innen werden Beziehungen humaner und non-humaner Agenten ausgelotet: Mediale Apparaturen treten in Wechselwirkung mit Menschen und Materialien. Im Zusammenspiel dieser Akteure werden alle Sinne geschärft und bilden synästhetische Wahrnehmungsebenen einer höheren Ordnung: Augen beginnen zu hören, Ohren zu sehen.
Listening Session IV –
RADIOLUX
Radiolux sind Trickster – indem sie binäre Konstellationen wie Sound & Vision, Analog & Digital unterlaufen und aufbrechen. Ihr Trick – das ist ihr An- und Aussteuern von Randbereichen auf Bild- und Tonebene, die sie hybridisieren und fluide ineinandergreifen lassen. Das Dritte, das Magische – sind die Zwischenräume, die sich auftun, während Klangereignisse und Lichtgebilde zu multisensorischen Audio-Visionen verschmelzen.